Virtual Reality in der Schmerztherapie: Realität oder Zukunftsvision?
Virtual Reality in der Schmerztherapie – ein Thema, das immer mehr Aufmerksamkeit im medizinischen Alltag gewinnt. Im Rahmen unserer Veranstaltung „Virtuelle Realität: Einsatzmöglichkeiten und Mehrwerte auf einen Blick“ auf dem gesundheit.digital.forum gab Franziska Glaß von der Chirurgischen Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg einen praxisnahen Einblick, wie VR-Anwendungen bereits heute in der Versorgung von Patientinnen und Patienten eingesetzt werden und welches Potenzial sie bieten.
Schmerzen sind ein zentrales Thema im Krankenhausalltag, denn sie beeinträchtigen nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die Genesung und das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten. Deshalb ist es umso wichtiger, neue Ansätze zur Schmerzlinderung zu erforschen und innovative Lösungen wie Virtual Reality in den klinischen Alltag zu integrieren.
Schmerzen verstehen: Grundlagen
Doch was genau ist eigentlich Schmerz? Schmerz wird als ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis definiert, das mit einer tatsächlichen oder potenziellen Gewebeschädigung einhergeht oder einer solchen ähnelt. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen akutem und chronischem Schmerz.
Akuter Schmerz tritt meist als direkte Reaktion auf eine Verletzung oder Erkrankung auf und übernimmt eine wichtige Schutz- und Warnfunktion. Chronischer Schmerz hingegen bleibt über einen längeren Zeitraum bestehen, verliert diese Schutzfunktion und steht häufig ohne klaren Auslöser im Raum.
Unbehandelte oder schlecht gelinderte Schmerzen können erhebliche Auswirkungen auf die Lebensqualität, die Funktionsfähigkeit und das allgemeine Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten haben. Zudem besteht die Gefahr, dass akute Schmerzen chronisch werden – mit langfristigen, oft schwerwiegenden Folgen.
Ein weiterer wichtiger Aspekt: Schmerzen sind immer subjektiv. Jede Patientin und jeder Patient erlebt Schmerzen anders und verfügt über eine ganz individuelle Toleranzgrenze. Genau diese Vielschichtigkeit macht das Thema Schmerztherapie so herausfordernd.
Klassische und neue Wege in der Schmerztherapie
Traditionell werden Schmerzen medikamentös behandelt – etwa mit Opioiden oder anderen Analgetika. Diese Medikamente spielen in der Schmerztherapie eine zentrale Rolle, stoßen jedoch häufig an ihre Grenzen. Nebenwirkungen, Abhängigkeitsrisiken und eine oft nur begrenzte Wirksamkeit machen deutlich, dass medikamentöse Ansätze allein nicht immer ausreichen.
Deshalb rücken nicht-medikamentöse Maßnahmen zunehmend in den Fokus. Dazu zählen beispielsweise Aromatherapie, Wärme- und Kältetherapie oder gezielte Mobilisation. Diese Methoden können helfen, Schmerzen zu lindern und das Wohlbefinden der Patientinnen und Patienten zu verbessern – und ergänzen die klassische Schmerztherapie auf sinnvolle Weise.
Vor diesem Hintergrund stellt sich die spannende Frage: Kann Virtual Reality als innovative, nicht-medikamentöse Therapie in der Schmerzbehandlung eingesetzt werden? Genau dieser Ansatz wird aktuell intensiv erforscht und gewinnt im klinischen Alltag zunehmend an Bedeutung.
Virtual Reality in der Schmerztherapie: Aktueller Stand der Wissenschaft
In den letzten Jahren hat sich die Technologie rund um Virtual Reality rasant weiterentwickelt. Moderne VR-Systeme sind nicht nur technisch ausgereifter, sondern auch deutlich erschwinglicher und somit leichter zugänglich geworden. Diese Entwicklung hat dazu geführt, dass das wissenschaftliche Interesse an VR-Anwendungen in der Medizin deutlich zugenommen hat – die Zahl der Studien zum Einsatz von Virtual Reality in der Schmerztherapie ist in den letzten Jahren stark gestiegen.
Besonders bei akuten Schmerzen gibt es bereits vielfältige Anwendungsfelder für VR. So wurde Virtual Reality beispielsweise bei Brandverletzungen von Erwachsenen und Kindern erfolgreich eingesetzt, insbesondere während schmerzhafter Verbandswechsel oder bei der Mobilisation. Erste Fallstudien zu diesem Thema reichen sogar bis ins Jahr 2000 zurück, was zeigt, dass der Ansatz zwar innovativ, aber keineswegs ganz neu ist.
Nutzen und Wirkung von VR in der Schmerzbehandlung
Was bewirkt Virtual Reality in der Schmerzbehandlung? Studien zeigen, dass VR einen schmerzlindernden Effekt – einen sogenannten analgetischen Effekt – erzielen kann. Zudem kann der Einsatz von VR dazu beitragen, die Therapieadhärenz und die Motivation der Patientinnen und Patienten zu steigern, was wiederum die Therapieerfolge verbessert.
Ein weiterer wichtiger Vorteil: Virtual Reality kann Ängste reduzieren, etwa bei invasiven Verfahren wie Venen- oder Portpunktionen. Auch bei der Behandlung von Wehenschmerzen unter der Geburt oder bei zahnärztlichen Eingriffen wurde eine deutliche Reduktion von Schmerzempfinden und Angst beobachtet. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass durch den gezielten Einsatz von VR sogar der Bedarf an Schmerzmedikamenten gesenkt werden kann.
Diese positiven Effekte machen Virtual Reality zu einem vielversprechenden Instrument in der modernen Schmerztherapie.
VR bei chronischen Schmerzen: Herausforderungen und Perspektiven
Die besondere Komplexität chronischer Schmerzen
Chronische Schmerzen sind deutlich komplexer als akute Beschwerden. Sie werden nicht nur vom physischen Zustand beeinflusst, sondern auch stark durch das soziale Umfeld, die psychische Verfassung und individuelle Erfahrungen der Patientinnen und Patienten geprägt. Diese Vielschichtigkeit macht die Behandlung von chronischen Schmerzen besonders herausfordernd.
Anwendungsfelder von VR bei chronischen Schmerzen
Virtual Reality kommt inzwischen auch bei verschiedenen chronischen Schmerzformen zum Einsatz, zum Beispiel bei:
- Chronischen Rücken- und Nackenschmerzen
- Fibromyalgie
- Gelenkschmerzen
- Neuropathischen Schmerzen
Dabei werden unterschiedliche Methoden genutzt: VR-Anwendungen setzen oft auf Ablenkung, kognitive Verhaltenstherapie, Entspannungsübungen, Yoga oder Atemtechniken. Ziel ist es, die Wahrnehmung des Schmerzes positiv zu beeinflussen und die Funktionsfähigkeit im Alltag zu verbessern.
Noch wenig Langzeitdaten
Gerade im Bereich der chronischen Schmerzen fehlen bislang belastbare Langzeitdaten. Studien mit größeren Teilnehmerzahlen und längeren Beobachtungszeiträumen sind nötig, um die tatsächliche Wirksamkeit und Dauer des analgetischen Effekts von VR besser bewerten zu können.
Nebenwirkungen und Kontraindikationen von VR in der Schmerztherapie
Mögliche Nebenwirkungen: Meist mild, aber nicht auszuschließen
Die bisherigen Studien zeigen insgesamt geringe Nebenwirkungen beim Einsatz von Virtual Reality in der Schmerztherapie. Gelegentlich berichten Patientinnen und Patienten über Symptome wie Übelkeit, Schwindel, Kopfschmerzen oder eine Belastung der Augen. Diese Beschwerden werden unter dem Begriff „Cyber Sickness“ oder „VR Motion Sickness“ zusammengefasst und entstehen meist durch eine Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und fehlendem sensorischen Feedback.
Kontraindikationen: Wann sollte VR nicht eingesetzt werden?
Trotz der geringen Nebenwirkungen gibt es bestimmte Patientengruppen, für die VR nicht geeignet ist. Dazu zählen insbesondere Menschen mit:
- Störungen des Gleichgewichtssinns
- Bekannter Epilepsie
- Migräne
- Ausgeprägter Angst vor engen Räumen
Deshalb ist eine individuelle Abwägung und Beratung vor dem Einsatz von VR in der Schmerztherapie unerlässlich. So kann sichergestellt werden, dass die Methode für die jeweilige Patientin oder den jeweiligen Patienten sicher ist.
Sehr gerne, hier die beiden Abschnitte, klar gegliedert und mit guten Lesbarkeitselementen:
Wie wirkt VR schmerzlindernd? Stand der Forschung
Ablenkung als zentraler Wirkmechanismus
Die Wissenschaft geht aktuell davon aus, dass Virtual Reality vor allem über einen Ablenkungsmechanismus schmerzlindernd wirkt. Während der Anwendung von VR werden die kognitiven Ressourcen der Patientinnen und Patienten auf die virtuelle Umgebung gelenkt. Dadurch rückt das eigentliche Schmerzgeschehen in den Hintergrund und wird weniger intensiv wahrgenommen.
Immersion: Je tiefer das Eintauchen, desto stärker die Wirkung
Ein entscheidender Faktor für die schmerzreduzierende Wirkung ist die sogenannte Immersion, also das Maß, wie stark eine Person in die virtuelle Realität eintaucht. Studien zeigen: Je interaktiver und realitätsnaher die VR-Anwendung gestaltet ist, desto ausgeprägter fällt der analgetische Effekt aus.
Hinweise auf Veränderungen im Gehirn
Neben der Ablenkung gibt es auch Hinweise auf neurophysiologische Prozesse, die durch VR ausgelöst werden. Veränderungen in der schmerzbezogenen Hirnaktivität konnten in ersten Untersuchungen beobachtet werden. Das unterstreicht, dass VR nicht nur als „Ablenkungsspielerei“ funktioniert, sondern tatsächlich Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung im Gehirn nimmt.
Praxisbeispiel Universitätsklinikum Heidelberg: Eigene Erfahrungen und Studie
Pilotstudie in der chirurgischen Klinik
Am Universitätsklinikum Heidelberg wurde während der Corona-Pandemie eine eigene Pilotstudie zum Thema VR in der Schmerztherapie durchgeführt. Ziel war es, den Einfluss der Virtual-Reality-Behandlung auf das Schmerzerleben von Patientinnen und Patienten während eines Verbandswechsels zu untersuchen.
Studiendesign:
Die Studie war monozentrisch, randomisiert und im Crossover-Design angelegt. Das bedeutet, dass alle Teilnehmenden sowohl mit als auch ohne VR-Brille einen Verbandswechsel erlebten. So konnten die Effekte direkt verglichen werden.
Durchführung:
Während des mindestens 15-minütigen Verbandswechsels durften die Patientinnen und Patienten mit der VR-Brille eine virtuelle Bodenseerundfahrt erleben.
Zentrale Ergebnisse der Studie
- Reduziertes Schmerzerleben: Die meisten Patientinnen und Patienten berichteten während der VR-Anwendung von weniger Schmerzen – dieser Effekt erreichte jedoch keine statistische Signifikanz.
- Stärkerer Effekt bei höheren Ausgangsschmerzen: Besonders deutlich zeigte sich die Wirkung bei Personen, die bereits zu Beginn stärkere Schmerzen (NRS ≥ 3) hatten.
- Kaum Nebenwirkungen: Es traten nur sehr selten unangenehme Begleiterscheinungen auf.
Wichtige Limitationen
Die Studie hatte eine kleine Teilnehmerzahl. Zudem äußerten einige Patientinnen und Patienten das Bedürfnis, den Verbandswechsel aktiv mitzuerleben („Wunde sehen“), was zur Ablehnung der VR-Anwendung führte. Auch die Lagerung während des Eingriffs (meist in Rückenlage) schränkte das VR-Erlebnis teilweise ein.
Fazit & Ausblick: Virtual Reality in der Schmerztherapie – Realität und Zukunft
Die bisherigen Studien zur Virtual Reality in der Schmerztherapie liefern ein vielversprechendes, aber noch heterogenes Bild. Es zeigt sich, dass VR in vielen Bereichen der akuten und chronischen Schmerzbehandlung eine schmerzlindernde Wirkung entfalten kann. Dennoch fehlen bislang Langzeitdaten und groß angelegte Studien, um die Wirksamkeit und den Einsatz für alle Patientinnen und Patienten flächendeckend zu empfehlen.
Aktuell ist Virtual Reality in der Schmerztherapie daher noch kein Standard, sondern vor allem in Pilotprojekten und im Rahmen individueller Prüfungen im eigenen klinischen Setting sinnvoll. Die Empfehlung lautet daher: Wer VR in der Schmerztherapie einsetzen möchte, sollte zunächst mit kleineren Projekten starten und die Methode gemeinsam mit den Patientinnen und Patienten evaluieren.
Das persönliche Fazit der Referentin Franziska Glaß: Virtual Reality ist im Klinikalltag realistisch und praktisch umsetzbar – aber noch keine universelle Lösung für alle Schmerzpatientinnen und -patienten. Besonders in der Viszeralchirurgie zeigt sich das Potenzial der Methode, auch wenn eine breite Anwendung noch Zukunftsmusik bleibt.
Positiv bleibt, dass Patientinnen und Patienten vor allem bei Angst und Unruhe von der VR-Anwendung profitieren können – ein Eindruck, der sich sowohl in der Studie als auch im Praxisalltag bestätigt hat.
Wir danken Franziska Glaß für ihren Einblick und allen Teilnehmenden für das Interesse. Bei weiteren Fragen oder Diskussionsbedarf rund um den Einsatz von Virtual Reality in der Medizin steht das Team vom gesundheit.digital.forum gern zur Verfügung.
Vortrag
Virtual Reality in der Schmerztherapie
Franziska Glaß, Chirurgische Klinik am Universitätsklinikum Heidelberg
Veranstaltung

Virtuelle Realität: Einsatzmöglichkeiten und Mehrwerte auf einen Blick
30.04.2025
Erhalten Sie einen umfassenden Einblick in die Einsatzmöglichkeiten der VR-Brille im Gesundheitswesen.
Artikel

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