Digitale Pionierarbeit in der Pflege: Wie die RoMed Kliniken den Wandel gestalten
Digitalisierung ist längst mehr als nur ein Schlagwort – sie verändert unseren Alltag, unsere Arbeitswelt und auch das Gesundheitswesen grundlegend. In unserer Interviewreihe „mensch.digital“ trifft Martin Schmiedel, Vorstand der GFKD AG, auf Persönlichkeiten, die diesen Wandel aktiv gestalten. Es geht um Geschichten, um Erfahrungen – und um die Frage, wie Digitalisierung dort funktioniert, wo Menschen im Mittelpunkt stehen.
In dieser Folge sprechen wir mit Frau Hantl-Mergert, Pflegedirektorin der RoMed Kliniken in Rosenheim. Sie gilt nicht nur als leidenschaftliche Verfechterin einer modernen Pflege, sondern auch als innovative Impulsgeberin, wenn es um digitale Transformation im Klinikalltag geht. Mit beeindruckender Konsequenz hat sie Projekte initiiert und umgesetzt, die weit über Standardlösungen hinausgehen – von der elektronischen Fallakte über KI-gestützte Exoskelette bis hin zur robotergestützten Therapieunterstützung.
Ziel unseres Gesprächs war es, einen Einblick in die digitale Reise der RoMed Kliniken zu gewinnen. Welche Herausforderungen gab es? Welche Learnings lassen sich teilen? Und: Was bedeutet Digitalisierung in der Pflege eigentlich ganz konkret – für Mitarbeitende, Patient:innen und das gesamte System? Die Antworten darauf zeigen eindrucksvoll, was möglich ist, wenn Innovation auf Entschlossenheit trifft.
Der Weg zur Digitalisierung: Motivation und Ausgangspunkt
Für Frau Hantl-Mergert war der Einstieg in die digitale Welt der Pflege kein plötzlicher Umbruch, sondern ein schleichender Prozess – geprägt durch viele Jahre Erfahrung in unterschiedlichen Kliniken. Schon lange vor ihrer Zeit bei den RoMed Kliniken setzte sie sich mit der Einführung elektronischer Fallakten auseinander. Doch statt Begeisterung erlebte sie häufig Frustration: „Was mich immer gestört hat, war, dass die Möglichkeiten digitaler Tools von vielen Kliniken gar nicht genutzt wurden – oder sie wurden erst gar nicht eingeführt.“
Diese Erfahrung war prägend. Als sie ihre Rolle bei den RoMed Kliniken übernahm, stellte sie fest: Die elektronische Fallakte war zwar bereits angeschafft – aber nie implementiert worden. Der Grund? Die verbreitete Annahme, man könne ein solches Projekt „nebenher“ erledigen. Für Frau Hantl-Mergert ein absolutes No-Go. Für sie war klar: Digitalisierung in der Pflege ist kein Randthema, sondern überlebenswichtig für den Fortbestand einer modernen Gesundheitsversorgung.
Mit dieser Haltung begann sie, Digitalisierung zur Chefsache zu machen. Sie stellte zwei Pflegekräfte mit IT-Affinität frei, machte sie zu Projektleitenden mit echter Entscheidungskompetenz – und legte damit den Grundstein für ein durchdachtes und erfolgreiches Digitalprojekt. Ihr Ansatz: Digitalisierung ist kein technisches Projekt, sondern ein kultureller Wandel, der Ressourcen, klare Strukturen und echte Priorisierung braucht.
Strategischer Einstieg: Ressourcen, Team und Planung
Wer Digitalisierung wirklich erfolgreich umsetzen will, braucht mehr als gute Absichten – es braucht Struktur, Ressourcen und den Mut, konsequent umzudenken. Frau Hantl-Mergert wusste das von Anfang an und ging bei der Umsetzung digitaler Projekte an den RoMed Kliniken einen ungewöhnlich klaren, systematischen Weg.
Digitalisierung ist Teamsache: IT-Affine Pflegekräfte als Projektleitung
Ein entscheidender Schritt war die Freistellung zweier Pflegekräfte mit ausgeprägter IT-Affinität. Sie wurden nicht nur ins Projekt eingebunden, sondern übernahmen die Verantwortung als Projektleitungen mit Weisungsbefugnis gegenüber allen Berufsgruppen – ein klares Signal, dass dieses Projekt ernst genommen wurde. Damit war gewährleistet, dass Pflegepraxis und Technik von Beginn an Hand in Hand gingen.
Vor der Technik kommt die Basis: Schulung und Zugänglichkeit
Statt mit der Einführung der digitalen Fallakte sofort loszulegen, setzte Frau Hantl-Mergert auf Vorbereitung und Befähigung: Computerführerscheine wurden eingeführt, um Mitarbeitende ohne digitale Vorerfahrung Schritt für Schritt mitzunehmen. Denn: Digitalisierung darf niemanden abhängen – schon gar nicht in einem Bereich, in dem Vertrauen, Sicherheit und Kompetenz eine zentrale Rolle spielen.
Ein weiterer technischer Meilenstein: Die Einführung des Single Sign-On. Ein schneller, sicherer Zugang zur digitalen Fallakte war essenziell, um Akzeptanz zu schaffen – niemand will 30 Sekunden warten, bis sich eine Anwendung öffnet. Mit dieser Maßnahme wurde eine der größten Hürden gleich zu Beginn beseitigt.
Pandemie als Katalysator: Trotz Krise vorwärts
Das Jahr 2020 brachte zusätzliche Herausforderungen mit sich – die COVID-19-Pandemie hatte den Klinikalltag fest im Griff. Doch anstatt die Digitalisierung auf Eis zu legen, entschied sich Frau Hantl-Mergert für den gegenteiligen Weg: "Jetzt erst recht." Der Rollout begann mitten in der Krise – ein mutiger Schritt, der sich auszahlen sollte. Innerhalb von zwei Jahren waren alle vier Klinikstandorte digital angebunden. Die digitale Fallakte wurde nicht nur eingeführt – sie wurde zum Standard.
Frau Hantl-Mergerts Strategie zeigt: Wer Digitalisierung mit Weitblick, Struktur und einem klaren Plan angeht, kann selbst unter schwierigen Bedingungen nachhaltige Veränderungen schaffen.
Umsetzung der digitalen Fallakte: Herausforderungen und Learnings
Die Einführung der elektronischen Fallakte war für die RoMed Kliniken nicht einfach ein IT-Projekt – sie war ein organisatorischer und kultureller Kraftakt, der nur mit Offenheit, Geduld und dem Mut zur Wahrheit gelingen konnte.
Kein Heilsversprechen: Digitalisierung ersetzt keine Arbeitszeit
Frau Hantl-Mergert machte von Beginn an deutlich, was viele Projekte scheitern lässt: überzogene Erwartungen. „Fallt nicht auf das Märchen rein, dass ihr durch die digitale Fallakte weniger Zeit braucht“, warnte sie ihre Mitarbeitenden. Der Dokumentationsaufwand bleibe zunächst gleich – der große Unterschied sei: Die Akte muss nicht mehr gesucht werden. Sie ist immer verfügbar, für alle, gleichzeitig. Das allein sei schon ein enormer Effizienzgewinn – vor allem in einem hektischen Klinikalltag.
Digitalisierung als evolutionärer Prozess: Automatisierung schafft Entlastung
Doch bei der Einführung sollte es nicht bleiben. In einem zweiten Schritt wurde eine automatische Ablaufsteuerung in das System integriert. Pflegemaßnahmen können so – basierend auf dem individuellen Patientenfall – automatisch geplant und gebündelt dokumentiert werden. Das reduziert die Dokumentationszeit um bis zu 50 % und schafft endlich den versprochenen Freiraum für die eigentliche Pflege.
Diese Entlastung ist nicht nur ein praktischer Vorteil, sondern ein strategischer: Im Kontext des Fachkräftemangels wird jede Minute, die nicht mit Papierkram verbracht wird, zur Ressource für die Patientenversorgung.
Dauerhafte Weiterentwicklung: Digitalisierung endet nicht mit dem Rollout
Ein weiterer Schlüssel zum Erfolg: Die beiden Projektleitungen aus der Pflege sind bis heute im Einsatz – denn Digitalisierung ist kein abgeschlossener Akt, sondern ein kontinuierlicher Prozess. Systeme entwickeln sich weiter, Anforderungen verändern sich, neue Möglichkeiten entstehen. Frau Hantl-Mergert hat dafür gesorgt, dass dieses Know-how langfristig im Haus bleibt.
Die Einführung der elektronischen Fallakte bei den RoMed Kliniken steht exemplarisch für eine neue Art des Denkens: Digitalisierung nicht als Einmalprojekt, sondern als lebendigen Teil der Organisationskultur zu begreifen – und damit als echten Wettbewerbsvorteil im Gesundheitswesen.
Datenschutz & Sicherheit: Kein Hindernis, sondern Voraussetzung
Datenschutz gilt in der öffentlichen Diskussion oft als größtes Argument gegen digitale Lösungen im Gesundheitswesen. Doch für Frau Hantl-Mergert ist klar: Professionelle Digitalisierung schließt Datenschutz nicht aus – sie braucht ihn.
Die eingesetzten Systeme bei den RoMed Kliniken erfüllen alle rechtlichen Anforderungen bereits vor dem Kauf. Zusätzlich prüft der klinikinterne Datenschutzbeauftragte jede Lösung sorgfältig. Auch die Mitarbeitenden sind sensibilisiert und melden potenzielle Bedenken aktiv. Das Fazit: Datenschutz ist kein Showstopper – sondern gelebter Standard.
Digitale Projekte für Mitarbeitende: Mehr Qualität, weniger Belastung
Digitale Transformation bei den RoMed Kliniken bedeutet nicht nur Technik, sondern vor allem eines: Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden.
Evidenzbasierte Pflegestandards: Wissen, das verfügbar ist
Ein echtes Herzensprojekt von Frau Hantl-Mergert war die Einführung digitaler, evidenzbasierter Pflegestandards. Über eine App haben Pflegekräfte jederzeit Zugriff auf über 400 aktuelle Standards – direkt am Bett, im Pausenraum oder zu Hause. Das ersetzt veraltete Papierdokumente und stärkt die fachliche Sicherheit in der täglichen Praxis. Die Standards werden regelmäßig überprüft, weltweit abgeglichen und sukzessive mit der digitalen Fallakte verknüpft.
Exoskelette mit KI: Rückenschonend durch den Tag
Ein weiteres Highlight: die Einführung von KI-gestützten Exoskeletten zur Entlastung des Pflegepersonals bei schweren körperlichen Tätigkeiten. Jedes Skelett passt sich individuell an die Trägerin oder den Träger an, erkennt Bewegungsmuster und entlastet gezielt. Die Anschaffung war teuer, wurde aber aus Eigenmitteln finanziert – ein starkes Zeichen dafür, wie ernst RoMed das Thema Gesundheit und Prävention im Pflegeberuf nimmt.
Arbeitgeberattraktivität durch Digitalisierung: Pflege neu denken
Was Digitalisierung auch bedeutet: sichtbar sein als moderner, attraktiver Arbeitgeber. Für Frau Hantl-Mergert ist das kein Nebeneffekt, sondern ein strategischer Vorteil – und ein Grund, warum die RoMed Kliniken trotz Fachkräftemangel deutlich besser dastehen als viele andere.
Junge Menschen begeistern, erfahrene Kräfte halten
Alle Auszubildenden erhalten zu Beginn ein eigenes Tablet. Der Unterricht erfolgt digital, mit eBooks und Klassensätzen an Laptops. Auch die praktische Ausbildung ist vollständig digital dokumentiert – das schafft Transparenz und Einbindung.
Gleichzeitig investiert man in moderne Führungsinstrumente wie New Work, Design Thinking und Kanban, und macht dies auch öffentlich sichtbar. Das Ergebnis: volle Ausbildungsgänge, Wartelisten und eine geringe Fluktuation. Und das ganz ohne Personalvermittlung aus dem Ausland – dafür mit vielen Initiativbewerbungen.
Kommunikation als Erfolgsfaktor
„Tue Gutes und rede darüber“ – dieses Motto prägt die Kommunikationsstrategie von Frau Hantl-Mergert. Die innovativen Projekte werden aktiv in Fachpresse und Medien platziert. So entsteht ein klares Bild: Wer bei RoMed arbeitet, gestaltet Zukunft – mit Kompetenz, mit Haltung und mit digitalen Werkzeugen.
Digitale Innovation für Patienten: Technologie, die berührt
Die Digitalisierung bei den RoMed Kliniken endet nicht beim Personal – sie kommt auch direkt den Patientinnen und Patienten zugute. Ziel ist es, den Klinikaufenthalt nicht nur effizienter, sondern auch menschlicher zu gestalten. Dabei setzt Frau Hantl-Mergert bewusst auf Projekte mit spürbarem Nutzen im Alltag.
Robotik im Einsatz: Therapie mit „Pepper“
Ein besonderes Projekt entstand durch eine glückliche Fügung: Der humanoide Roboter Pepper wurde dem Haus für ein Jahr zur Verfügung gestellt – mit nur einer Vorgabe: Er soll therapeutisch wirken, nicht nur unterhalten.
Das Ergebnis: ein interdisziplinäres Projektteam, gebildet aus freiwilligen Mitarbeitenden verschiedener Berufsgruppen. Sie entwickelten Anwendungen für den Einsatz in der Neurologie – insbesondere bei Schlaganfallpatient:innen. Pepper hilft z. B. beim Wiedererlernen der Sprache, bei Bewegungs- und Gedächtnisübungen und trägt dazu bei, dass Patienten sich aktiv in ihre Genesung einbringen.
Der Effekt ist deutlich: Weniger Ängste, mehr Eigenverantwortung – und damit auch weniger Belastung für das Pflegepersonal. Ein gelungenes Beispiel dafür, wie Robotik nicht distanziert, sondern Verbindung schaffen kann.
Digitale Selbstwirksamkeit statt passivem Warten
Die Nutzung solcher Technologien verändert die Patientenerfahrung spürbar. Zwischen den klassischen Behandlungsphasen – Pflege, Visite, Therapie – entsteht oft Leerlauf. Der Roboter bietet in dieser Zeit eine aktive, unterstützende Begleitung. Wer sich einbringen kann, fühlt sich weniger ausgeliefert – und das wirkt sich positiv auf Heilungsverläufe aus.
Blick in die Zukunft: Pflege weiterdenken
Stillstand kennt Frau Hantl-Mergert nicht. Auch nach der erfolgreichen Umsetzung zahlreicher Digitalisierungsprojekte denkt sie kontinuierlich weiter – in Systemen, in Chancen, in Zukunftsmodellen.
Dashboard mit Handlungsempfehlungen
Aktuell arbeitet ein IT-Student im Rahmen seiner Bachelorarbeit an der Weiterentwicklung des internen Pflege-Dashboards. Die Vision: Führungskräfte sehen auf einen Blick die wichtigsten Kennzahlen – und erhalten automatisierte Handlungsempfehlungen, basierend auf definierten Schwellenwerten. Ein intelligentes Frühwarnsystem, das Führung und Planung evidenzbasiert unterstützt.
Dokumentation per Scan & KI in der Ausbildung
Zukünftig soll die Dokumentation durch ein Scanner-Tool noch weiter automatisiert werden: Patientenarmband und Tätigkeit werden gescannt – die Information wandert direkt in die Fallakte. Weniger Aufwand, mehr Zeit für Patienten.
Auch die Ausbildung bleibt im Fokus: Derzeit testet RoMed verschiedene KI-Tools wie ChatGPT im Unterricht und passt Aufgabenstellungen, Bewertungen und Inhalte entsprechend an. Digitales Lernen als Normalzustand.
Perspektive Telepflege & Pflegeversorgungszentrum
Ein weiteres Zukunftsprojekt ist bereits in Planung: das erste Pflegeversorgungszentrum (PVZ). Aufbauend auf der Idee der Telemedizin soll hier Telepflege zur Realität werden – ein Angebot, das auch außerhalb der Klinik professionelle Begleitung ermöglicht. Es ist der nächste logische Schritt in einem ganzheitlichen, digitalen Versorgungskonzept.
Fazit: Digitalisierung mit Haltung und Herz
Das Gespräch mit Frau Hantl-Mergert zeigt eindrucksvoll, was möglich ist, wenn digitale Transformation nicht als Pflichtaufgabe, sondern als Gestaltungsauftrag verstanden wird. Die RoMed Kliniken haben nicht nur Tools eingeführt, sondern eine neue Haltung etabliert – eine, die Technik als Mittel zur Verbesserung von Pflege, Arbeit und Gesundheit begreift.
Was besonders beeindruckt: die Konsequenz, mit der Frau Hantl-Mergert und ihr Team strategisch, menschlich und mutig vorgehen. Digitalisierung passiert hier nicht auf Zuruf, sondern mit Planung, Beteiligung und Verantwortung. Das Ergebnis: spürbare Entlastung für Mitarbeitende, mehr Sicherheit für Patient:innen und eine starke Positionierung als zukunftsfähiges Gesundheitsunternehmen.
Und dabei ist klar: Das ist erst der Anfang.

Interview mensch.digital
Martin Schmiedel im Gespräch mit Judith Hantl-Mergert, RoMed Kliniken Rosenheim